Das Geheimnis des Feuers

Diese wenigen Zeilen können nicht die mühseligen und geduldigen Arbeiten der Töpfer und Keramiker vergegenwärtigen. Sie sollen nur eine kurze Einführung sein in das große Geheimnis des Feuers. Mag die Kunst der Keramik unsere Tage durch die jüngsten Entdeckungen auf dem Gebiet der Chemie und der Physik noch so vervollkommnet sein, sie bleibt doch aufs engste mit der Erde verbunden, von der sie ihren Ausgang nahm. Dieses für den Töpfer wichtigste Element, der tausendjährige zerstampfte und gereinigte Lehm, wird von den Händen des Drehers geformt. Das Stück Lehm rundet sich, wird zusammen gedrückt, die Moleküle drängen sich aneinander; das zerbrechliche Gefäß, das die Hand des Künstlers mit einer letzten Liebkosung streift, scheint zu zittern, bevor es erstarrt und die Drehscheibe verlässt, auf der es entstanden ist. Die lehmige Masse, aus ausgeklügelten Mischungen zusammen gesetzt, muss die feinsten Siebe passieren und wird dann in eine Gipsform geschüttet, die ihr mannigfaltige Gestalt verleiht, von dem bäurisch anmutenden Topf für einen bunten Feldblumenstrauß bis zu der edel geformten Vase, deren Glasur ihr einziger Schmuck ist.

Wenn diese Formen aus der Hand des Töpfers hervor gegangen sind oder aus den Abdruckformen geschält sind, warten sie in ihrer Nacktheit darauf, dass das Wasser, das der Lehm enthielt, verdunstet. Aus der Beschaffenheit der Lehmmasse, die man zu ihrer Herstellung benutzt hat, ergeben sich die verschiedenen Arten und Benennungen der Töpferwaren: Fayence mit Zinnglasur, Hart- oder Weich-Porzellan, Steinzeug. Aus der Zusammensetzung der Emaille, mit der sie überzogen werden, und aus dem Hitzegrad, dem sie im Ofen ausgesetzt werden, ergeben sich verschiedene Arten: glasierter Ton, gesprüngelte Fayence, geflammtes Steinzeug, Scharffeuer-Steinzeug. Inzwischen bereitet der Künstler seine Metalloxyde vor; denn nachdem er Töpfer war, und bevor er Maler und Dekorateur wird, muss er Chemiker, ja zuweilen Alchimist sein. Es handelt sich nicht nur darum, eine Palette mit den Hauptfarben zu verwenden, sondern er muss auch in fein abgestimmten Mischungen diese chemischen Verbindungen vorbereiten, sie pulverisieren und kneten. Dann muss er ihre Reaktion auf die verschiedenen Temperaturen beobachten, bevor er sie auf die Vase aufträgt. Kupfer ergibt rote und grüne, Kobalt blaue, Uran und Antimon gelbe, Mangan und Blei schwarze Farbtöne. Abgesehen von jeder künstlerischen Wirkung hängt das chemische Gelingen von der genauen Kenntnis ihrer Vermischungs- und Verbindungsmöglichkeiten ab. Denn die keramische Kunst beruht auf einer innigen Zusammenarbeit des menschlichen Genies mit der Zauberkraft der Flammen, auf einer engen Verbindung des menschlichen Gehirns mit der rohen Materie und einer launischen Kraft, dem Feuer.

Der Keramiker sucht auf den Trockenböden eine Form aus, eine feine, zerbrechliche Tonschale; dann wählt er unter den Oxyden die nötigen Pulver, aus denen er eine flüssige Paste mischt. Diese tupft er mit seinem Pinsel behutsam auf die Vase. Er lässt seiner Phantasie freien Lauf, zeichnet Arabesken und setzt Blumen und Phantasiegebilde auf Kelche, Krüge und Schalen. Seine Technik macht ihn zu einem einfachen Töpfer oder zu einem großen Keramiker; dem einen gelingt nur glasierter Ton in Emaille getaucht, dem anderen aber glückt es, fein verzierte Vasen mit untermalter oder übermalter Glasur herzustellen. Tag für Tag während arbeitsreicher Wochen bemüht sich der Künstler, sich niemals zu wiederholen. Bevor er die Früchte seiner Arbeit in den Herd einmauert, stellt er noch einige Versuche an. Er bemüht sich um eine neue chemische Verbindung, eine bisher unbekannte Emaille, mit der er einen Zufallstreffer zu machen hofft in einer reicheren oder zarteren Farbtönung. Er muss die sorgfältige Arbeit mehrerer Monate, die Hoffnungen, die er auf seine neue Emaille gesetzt hat, diesem noch ungezähmten Element anvertrauen, dem Feuer höchster Wärmegrade. Ähnlich einem mittelalterlichen Verlies nimmt der tief in die Erde eingelassene Ofen jetzt in seinen feuerfesten Behältern die verschieden geformten Gefäße und Figuren auf. Schicht auf Schicht türmen sich die Behälter bis zur Deckenwölbung des Ofens. Jetzt hat er nur noch die Tür zu vermauern und die stählernen Klappen zu schließen, die den Ofen während des Brandes abdichten.

Am frühen Morgen wird das Feuer angezündet. In den Feuerlöchern türmen sich die trockenen Holzscheite, und bei ihrer hellen Glut steigt die Innentemperatur langsam auf 800 Grad – erste Etappe des Brandes. Der letzte Rest von Feuchtigkeit verschwindet allmählich. Die Stücke erwachen aus ihrer Erstarrung und bereiten sich durch dieses Läuterungsprozess des Feuers auf die glühenden Liebkosungen der Flammen vor, die die Temperatur für Porzellan und Steinzeug auf 1300 Grad steigern. Während langer Stunden des Brandes schreien die unersättlichen Feuerlöcher mit höllischem Lärm nach immer mehr Holz. Das geringste Versehen, eine rasche Steigerung oder ein unvorhergesehenes Nachlassen kann den ganzen Schub in Gefahr bringen und die erhofften Meisterwerke in einen Haufen unförmiger Gefäße verwandeln, die die unerbittlichen Flammen durcheinander werfen und die statt einer schönen Glasur nur eine aufgeblasene Kruste haben. Bei dem heutigen Stand der Technik sind die Öfen, die Kontroll- und Messapparate soweit verbessert, dass derartige Unglücksfälle selten geworden sind. Durch die eingearbeiteten Luken in den Wänden des Ofens kann der Keramiker die Kontrollzeiger beobachten und das Steigen der Hitzegrade verfolgen. Wenn der letzte Zeiger fällt, werden die Feuerlöcher geschlossen. Die Flammen suchen einen Ausgang, vollführen einen teuflischen Tanz und schwingen sich hinauf in den Schornstein. Das Werk des Künstlers ist beendet.

Während mehrerer Tage kühlt der Ofen ab: Stunden der Hoffnung und der Angst. Endlich wird die Tür geöffnet. Mit Fausthandschuhen zieht der Keramiker die noch glühenden Behälter heraus. Aus der Erstarrung der Feuerhöhle kommen die einzigartigen Vasen zum Vorschein, kupferrot in heißen Tönungen, blassgrün mit feinen schwarzen Strichen, goldkäferfarben in tausend Abstufungen, oder die einfachen Figuren, deren bäurische oder zarte Formen das Feuer bewahrt hat. Diese unveränderlichen Zeugen sind auch noch in ihrer Bescheidenheit majestätisch. Sie sind die Belohung für die langen Monate heißen Schaffens der Hände und des Geistes. Vom einfachen Töpfer bis zum genialen Keramiker sind die Handwerker und Künstler unserer Tage einig mit den alten orientalischen Meistern und den großen Bildnern des Mittelalters in der allen gemeinsamen Leidenschaft für das Feuer.

 

Jean Mougin
"Moderne französische Keramik", 1947

 

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